03.07.2023, 20:00 - 22:00

Über die christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus.

Vortrag und Gespräch mit Tilman Tarach
Moderation: Eberhard Jost, Theologe und Sozialarbeiter

Wenn hierzulande kritisch über Antisemitismus gesprochen wird, steht häufig der völkisch-identitäre oder der islamistische Antisemitismus im Vordergrund. Nicht selten wird dabei auf »unsere« vermeintlich tolerante »Kultur des christlich-jüdischen Abendlandes« verwiesen. Der Vortrag korrigiert diese Geschichtsklitterung, denn der Judenhass ist eine Konstante der christlichen Geschichte – von den ersten von Christenhand niedergebrannten Synagogen kurz nach der Erhebung der neuen Lehre zur Staatsreligion über Ritualmord- und Brunnenvergiftungslegenden bis hin zum antizionistischen Engagement der Kirchen in der Gegenwart. Christliche Gründungsmythen legten dabei den Grundstein für die Vorstellung von Juden als heimtückischen, mächtigen Strippenziehern, mithin für die Imagination einer »jüdischen Gefahr«, die das eigene Kollektiv bedrohe. Tatsächlich war diese im Christentum wurzelnde Vorstellung einer jüdischen Bedrohung auch eine notwendige – wenngleich keine hinreichende – Bedingung für die nationalsozialistische Judenvernichtung.

Die weithin vorgenommene Trennung zwischen christlichem Antijudaismus und modernem völkischen Antisemitismus folgt einer Entlastungsstrategie. Ersterer soll heute als überwunden gelten, letzterer hingegen als gänzlich neues Kapitel der Geschichte erscheinen. So gelingt die moralische Rettung des eigenen, identitätsstiftenden Kollektivs, das nach wie vor als christlich – oder als christlich geprägt – empfunden wird. Tatsächlich jedoch wies bereits der alte christliche Judenhass völkische, auf Abstammung und »jüdisches Blut« bezogene Merkmale auf, wie etwa die spätmittelalterlichen spanischen »Blutreinheitsgesetze« gegen zum Christentum konvertierte Juden und ihre Nachkommen zeigen. Umgekehrt finden sich Versatzstücke des christlichen Antijudaismus auch in der Gedankenwelt moderner Antisemiten. Hitler berief sich schon in ›Mein Kampf‹ auf die Evangelien; 1938 schließlich brachte er die Idee der Vernichtung der Juden mit dem ›Blutfluch‹ aus dem Matthäus-Evangelium in Verbindung. Führende Nationalsozialisten – und die Deutschen insgesamt – waren zutiefst christlich sozialisiert und damit gleichsam dazu konditioniert, die Juden reflexhaft als Aggressoren wahrzunehmen. Zugleich kollaborierten die Kirchen von Anfang an mit dem NS-Regime und betrachteten es bestenfalls als Konkurrenz. Auch wenn im Laufe der Geschichte einzelne christliche Würdenträger die Juden in Schutz nahmen und in völkischen Kreisen der Vatikan gelegentlich selbst zum Objekt von Verschwörungslegenden wird, so ist das christliche Bild von der »teuflischen Allmacht« der Juden doch zu einem unbewussten, aber festen Bestandteil der abendländischen Kultur geworden.

Im Islam gilt Jesus als einer der wichtigsten Propheten. Das christliche Bild von den Juden wurde als Erbe übernommen, allerdings in abgewandelter Form. Im Vortrag soll auch kurz auf die Dynamik des islamischen Antisemitismus eingegangen werden, der seit dem 20. Jahrhundert erheblich an Schärfe gewonnen hat.


Ort: 
Kath. Pfarreizentrum Bruder Klaus, Alfred-Aebi-Strasse 86, 2503 Biel/Bienne

Flyer

Über den Referenten:
Dr. Tilman Tarach ist Jurist und lebt in Berlin und Istanbul. Zum Thema ist 2022 von ihm erschienen: »Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus.« Sein erstes, 2016 in aktualisierter Auflage erschienenes Buch behandelt den israelisch-palästinensischen Konflikt: »Der ewige Sündenbock. Israel, Heiliger Krieg und die ‘Protokolle der Weisen von Zion’: Über die Scheinheiligkeit des traditionellen Bildes vom Nahostkonflikt«.

 

Infos:

Montag, 3. Juli, 20.00 Uhr - Kollekte
Ort: Kath. Pfarreizentrum Bruder Klaus, Alfred-Aebi-Strasse 86, 2503 Biel/Bienne

Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit von NabelKultur Zürich, Katholische Kirche Seeland, Pastoralraum Biel-Pieterlen, Jüdische Gemeinde Biel/Bienne, Christlich-jüdische Arbeitsgemeinschaft Biel/Bienne

Anmeldung:Nicht erforderlich
Kosten:Kollekte
Leitung:Eberhard Jost

VERANSTALTUNGSORT
Kath. Zentrum und Kirche Bruder Klaus
Alfred-Aebi-Strasse 86
2503 Biel
Tel: 032 366 65 99
E-Mail: pfarrei.bruderklaus@kathbielbienne.ch
Webseite: Kath. Zentrum und Kirche Bruder Klaus
VERANSTALTER
Bereich Bildung kath. Kirche Biel
Tel: +41 32 366 65 99
E-Mail: p.bernd@startmail.com
Webseite: Pastoralraum Biel-Pieterlen
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