Mit Hinblick auf den Beginn des Markusevangeliums hat Kuno Füssel 1993 einen kurzen Text verfasst, dem er den Titel gab: „Das Evangelium – die Antwort der Besiegten.“ Anfang Februar wird Kuno Füssel, der bei Karl Rahner und Johann Baptist Metz in Theologie promovierte, nach Biel/Bienne kommen, um Mitglieder des pastoralen Teams und interessierte Menschen in die materialistische Bibellektüre einzuführen und diese anhand von Texten aus dem ersten Korintherbrief und der Johannesapokalypse zu praktizieren.

Was will diese Art Bibel zu lesen?
Ein bekanntes Zitat Pinchas Lapides deutet etwas Wichtiges an: „Man kann die Bibel nur wörtlich nehmen oder ernst. Beides zugleich geht nicht.“ Die Bibel aber ernst nehmen: Wie geschieht das, ohne nicht in die Falle individueller Anmutungen und frommer Missverständnisse aufgrund eines „sehr unmittelbaren“ Verständnisses zu tappen, als ob biblische Sätze für mein Seelenwohl oder als Bauklötzchen für unbiblische dogmatische Systeme da seien.

Dabei waren sie stets Reaktionen von Menschen auf meist bedrängende Erfahrungen von Krieg und schreiendem Unrecht, aber auch auf Erfahrung von Heil, Befreiung und hoffnungsvollem Anfang nach Kämpfen und Leiden. Die Arbeit, einen Text aufzuschreiben als Versuch einer Antwort, z.B. auf die Frage kurz nach dem Jahr 70 u. Zt.: Wie kann es nun, nach dem Ende des Jüdischen Krieges und der Zerstörung Jerusalems, nach dem unzähligen Tod weitergehen mit der Sache des Messias? Antwort auf die vorhandene Verzweiflung von Menschen wollte das Markusevangelium geben. – Dieses, das erste der vier kanonischen Evangelien, wurde exemplarisch dafür, Bibel materialistisch zu lesen: „Am Anfang… steht eine Option: die Geschichte soll nicht aus der Sicht der Herrschenden, sondern aus der Sicht der Unterdrückten und Leidenden bewertet werden. Diese werden aber nicht als unglückliche Individuen betrachtet, sondern als Klasse begriffen, deren Schicksal durch ökonomische und politische Strukturen bedingt ist… Die materialistische Lektüre versteht die Bibel als aktive und aktivierende Form literarischer Produktion“ (K. Füssel). Dabei soll Lektüre auf ökonomischer, politischer und ideologischer Ebene damaliges Interesse entschlüsseln, um dann den Standort unserer eigenen Lektüre zu bestimmen: Heutiges Interesse.

„Evangelium“ so wurden damals die offiziellen Botschaften des Kaisers bezeichnet, wenn er Triumphzüge oder die Geburt eines Thronfolgers ankündigte. Dabei nannte er sich mit Vorliebe „Sohn Gottes“ und „Heiland der Welt“. Welche Brisanz, wenn Markus so anfängt: „Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.“ Es ist die Antwort der Besiegten: Frohe Botschaft für die Armen und Besiegten dieser Erde. Es hat mit dem zu tun, „was man mit Befreiung meint und herbeisehnt“ (Fernando Belo).

Peter Bernd

Nähere Informationen zur offenen Fortbildung zur materialistischen Bibellektüre vom 2.-5. Februar