Die Kulturanthropologin Melissa Flück hat uns Lesenden und besonders uns Bieler*innen ein grossartiges Geschenk gemacht. „Jüdisches Biel, ein Porträtbuch“ lässt Menschen zu Wort kommen, die das Jüdisch-sein verbindet und die uns ihre Verbundenheit mit Biel, mit uns, mit ihrer Religion und der Welt erzählen.
Die kurze, prägnante Einleitung der Autorin hat meine Neugier geweckt, mich aber auch erschreckt: „Einige weitere (Angefragte) haben aus verständlichen und leider sehr realen Bedenken abgesagt.“!
Zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde Biel informiert die Historikerin Stefanie Mahrer spannend über deren wichtigen Beitrag zu Biel (beispielsweise in der Uhrenindustrie.) So breiten die Beiden den roten Teppich für die Lebenserzählungen der Porträtierten aus.
Die Vielfalt der Stimmen ist beglückend: Wir hören jüdisches, bielerisches, israelisches und in verschiedenster Weise weit darüber hinaus. Hier möchte ich einige der Zitate aufführen, die jeweils zu Beginn der Porträts zu finden sind:
„Religiös bin ich nicht. Ich bin lediglich, sagen wir, traditionell.“
„Schön an der jüdischen Religion ist, dass man über alles diskutieren kann.“
„Man weiss nie, was kommt“
„Biel mag ich nicht so, Zürich ist eher meine Stadt.“
Gerne möchte ich mit diesen Menschen an einen Tisch sitzen und weiter fragen und vielleicht auch etwas streiten (Natürlich ist Biel viel toller als Zürich!) Ansonsten: bitte selber lesen!
Die Vielfalt der Stimmen und des Erlebten passen für mich sehr gut zur Vielfalt von Biel. Gelungen ist auch die Gestaltung, wobei auffällt, dass wir zuerst die Porträts lesen und erst danach ein Bild der Erzählenden finden. Auch hier mit einem Ausrufezeichen, finden wir doch von einem der Porträtierten nur ein Symbolbild.
Vielleicht ist es nicht Toleranz, die wir benötigen, sondern die Offenheit für die Lebenswünsche dieser und aller Menschen. Trotzdem: Danke an Herrn Fehr für sein Vorwort, das diesem Buch wichtigen Rückhalt gibt.
Vital Waeber
Jüdisches Biel, ein Porträtbuch, von Melissa Flück, bei HIER UND JETZT 2022