Am 11. Juni 2020 stimmte der Nationalrat der Vorlage zur Ehe für alle mit komfortabler Mehrheit zu. Gleichgeschlechtliche Paare sollen heiraten können. Ja, es gibt sie doch noch, erfreuliche Informationen im Meer von Corona-Verunsicherung und notwendiger „Black lives matter“-Aufschreie.

Homosexuelle Ehepaare erhalten damit auch das Recht, Kinder zu adoptieren. Lesbische erhalten zudem auch einen gesetzlich verankerten Zugang zu Samenspenden.

Noch kein Frohlocken, bitte

Klar ist dieser politische Schritt zu würdigen und auch zu feiern. Das Schweizer Fernsehen SRF beispielsweise frohlockte mit dem Titel: „Der Rechtstaat hat gewonnen“. Mit der Zustimmung zur Ehe für alle ist eine weitere Hürde auf dem überfälligen Weg zur Gleichstellung genommen. Doch der Weg ist noch nicht ganz gegangen, auch nach dem historischen Fortschritt gilt immer noch nicht ganz das gleiche Recht für alle Ehepaare. Die mehrheitsfähige Vorlage bringt beispielsweise bezüglich der Hinterlassenen-Rente oder bei der Leihmutterschaft noch keine Lösung.

Es ist noch zu früh zu sagen, dass der Rechtstaat gewonnen hat, denn dies erscheint mir nur als ein Etappensieg. Mit 132 Ja zu 53 Nein und 13 Enthaltungen muss man ernsthaft fragen, wie das möglich ist, dass rund 33% der Volksvertretung dagegen sein kann, dass in diesem Rechtstaat das gleiche Recht für alle gelten soll. Weiter ist auch zu lesen, dass mit Steuergeldern ein Referendum organisiert werden soll. Dies wäre eine sehr bedenkliche Entwicklung und sollte das Schweizervolk wachrütteln: Nach wie vor gilt es auch in der heutigen Schweiz, für unser Recht auf Gleichheit, Freiheit und Selbstbestimmung einzustehen – und sich nicht vorschnell mit Brosamen zufrieden zu geben.

Und die Kirchgemeinden?

Das deutliche Ja im Nationalrat ist Teil des politischen Prozesses. Damit ist klar: die Arbeit um Gleichstellung ist keinesfalls beendet. Dieses Ja muss nun in den Kantonen, in den Gemeinden und definitiv auch in der Gesellschaft in konkrete Massnahmen umgesetzt werden. Auch Kirchgemeinden und kirchliche Organisationen sind sehr gefragt, am Ende des laufenden politischen Prozesses die Umsetzung im kirchlichen Rahmen zu organisieren. Viele Menschen warten darauf.

Noch wichtiger erscheint es mir, Gleichstellung in den Alltag und zu guter Letzt auch in die Mentalität der Gesamtbevölkerung, also aller Schweizer*innen und Migrant*innen zu integrieren. Diese Arbeit liegt aber zu einem guten Teil noch vor uns, sei es für jede Person für sich, für verschiedene Gruppen, Schulen, Fachstellen, Behörden und Kirchgemeinden.

Der Arbeitskreis für Zeitfragen unterstützt diese Gleichstellungsarbeit und gratuliert allen, die zu dieser Gleichstellung beigetragen haben. Durchatmen – und weiter…

Noël Tshibangu