Initiiert vom AK Regenbogenpastoral des Bistums versammelten sich Menschen zu einer queeren Feier in Bruder Klaus – im ökumenischen Kontext.

Kaum sonst wird so deutlich, worin der Sinn eines „Gottesdienstes“ besteht – sich zu vergewissern, zu feiern, was noch nicht ist, aber sein soll – wie anlässlich der offenen queeren Feier zum Coming-out-Day am zweiten Oktobersonntag in der Bieler Bruder-Klaus-Kirche. Das eigentliche  Wort dafür, nämlich griechisch ‚Liturgie‘, besteht aus zwei Wortteilen: ‚Volk, Gemeinde‘ und ‚Dienst, Werk‘.

Überraschend: Eine öffentliche Feier als „Gemeinde-Dienst“, was in einem fliessenden, weiten und darin inspirierenden Bedeutungsfeld steht. Ein an jedem Sonntag sich ereignender Ort, Befreiung zu feiern und von dort aus zu tun. Würde das biblisch nicht heissen, Tora zu lesen und zu tun? So ähnlich verstand sich die queere Feier, die mit ihrem Titel den Sinn dieser öffentlichen Versammlung von Gemeinde traf: „Geht! Zeigt euch!“ Ausgangspunkt dafür war das Evangelium des Sonntages – im 17. Kapitel bei Lukas: Die Heilung der zehn Aussätzigen mit der zentralen Aufforderung Jesu: „Geht, zeigt euch den Priestern!“

Am Coming-out-Day und in einer Feier, die Leben, Kämpfe, Hoffnung und Selbstbewusstsein queerer Menschen thematisierte, kann eine Heilungsgeschichte „auf fatale Weise missdeutet werden“, sagte Elisha Schneider in der Predigt. Elishas Auslegung ist bemerkenswert: Nämlich im Wissen um die unsägliche religiöse Praxis fundamentalistischen Missbrauchs biblischer Sätze und die völlige Verkehrung biblischen Befundes sowie vor dem Hintergrund menschenverachtender Konversionstherapien den eigentlichen und befreienden Kern des Textes offenzulegen: „Jesus sagt: ‚Geht, zeigt euch!’ Als die Aussätzigen dieser Forderung nachkommen und aufbrechen, geschieht Heilung. Diese Gleichzeitigkeit ist es, die mich an diesem Evangelium fasziniert. ‚Geht, zeigt euch’, sagt Jesus zu ‚Aussätzigen’. Er spricht zu Menschen, die sich nicht zeigen durften, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Die Aussätzigen im Evangelium mussten sich am Rand der Gesellschaft bewegen. Aussätzige wurden ausgegrenzt. Queere Menschen in Kirche und teilweise auch in der Gesellschaft erleben dies ebenso.»

Elisha erzählt davon, dass er erlebt hat, wie heilsam es ist, sich zu zeigen und einen Prozess der Befreiung anzustossen; dass dabei Menschen wichtig waren, die sich ihrerseits schon „gezeigt haben” oder mit Respekt reagierten. Wenn Dorothee Sölle von Jesus sagte, dass er ein Mensch war, „der es wagte ‚ich’ zu sagen“, dann wird er als Mensch mit Mut zur eigenen Wahrheit zum Vorbild. Die Begegnung mit ihm und mit Menschen überhaupt, die ihre eigene Wahrheit leben, wird zu etwas, das heilt und dazu befreit, „Authentizität zu wagen”. Elisha deutet Coming-out auch als politischen Akt: „Sich zeigen, begegnen und Diversität aushalten ist friedensfördernd, nicht nur für Queere… Wenn wir uns der Begegnung mit Andern aussetzen, stehen wir in der Nachfolge Jesu.“ Gut, dass unter dem Zeichen des Regenbogens, dem der Solidarität Gottes mit allem Lebendigen, gefeiert, gesegnet, miteinander gesprochen und zur Befreiung aufgefordert wird.

Peter Bernd

(Foto: C. Quaranta)

 

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