Eine Buchrezension von Vital Waeber
Ich lese ja nicht so gerne „40 Jahre xy“ Bücher, aber MÄCHTIG STOLZ dürfen Sie nicht verpassen.
Wenn Sie in den letzten 40 Jahren mit der feministischen Theologie unterwegs waren, wird es ein schön gestaltetes Erinnerungsbuch für Sie sein. Sie finden jeweils eine Textspalte, die Sie zu den Orten und Themen führen, in denen Frauen praktisch-spirituelle und theologische Aufbauarbeit geleistet haben. In den Randspalten ist die Vielfalt an Zugängen und Formen dokumentiert: Seminare, Kongresse, Liturgien u.v.a.m. Beindruckend, wie viele Begegnungs- und Erfahrungsräume gestaltet wurden. Beispielhaft ist der Text von Brigit Keller zur Paulus Akademie: Sie nimmt die Lesenden mit auf den Weg ihrer eigenen spirituellen Reise und zeigt, wie wichtig Frauengruppen waren (und noch sind): „Wir hatten Hunger und Sehnsucht nach Austausch unter Frauen. Es war neu, sich wirklich ernst zu nehmen, nicht nach der Beurteilung von Männern zu schielen“ (S. 25).
Wenn Sie die feministische Theologie noch nicht kennen, wird es ihnen vielleicht wie mir gehen. Im Jahre 2022, wo die russisch-orthodoxe Kirche einen Vernichtungskrieg unterstützt, bin ich froh, um eine Bewegung zu wissen, die unsere Religion aus den patriarchalen Fesseln zu befreien versucht. Das Buch lässt auf 300 Seiten Frauen verschiedener Konfessionen und Religionen zu Wort kommen, die neue Perspektiven aufzeigen, ohne „Frauen und Anderen“ ihren Platz zuzuweisen. Die feministischen Theologinnen haben einen lebenserfahrenen und gemeinschaftsbildenden Umgang mit der Bibel entwickelt und erprobt, so dass sich die Bibel ganz neu erschliesst, auch für mich.
Mein Sohn ist dieses Jahr aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Was der Papst über Frauen, die abgetrieben haben, Unsägliches von sich gegeben hatte, war ihm zu viel. Ich kann das verstehen. Mit diesem Buch kann ich ihm aber zeigen, dass es noch Hoffnung für das Christentum gibt. Diese Hoffnung besteht nicht aus guten Theorien, sondern aus Erkenntnissen und Erfahrungen der feministischen, unermüdlich suchenden Frauen, die wir Männer aufnehmen und weitergestalten können. So ist das Buch ebenso eine Anleitung zum Selberdenken, wie es Ausgangspunkt für neue Projekte sein kann.
Also: ich empfehle, das Buch selbst zu lesen und am besten verschenken Sie es weiter an Menschen, die auf der Suche sind. Und wer ist das nicht im Jahr 2022?
Vital Waeber
Das Buch kann beim eFeF Verlag bezogen werden oder im Buchhandel:
CHF 38.00 eFeF-Verlag, Wettingen 2022. ISBN 978-3-906199-27-6