Fast 100 Personen besuchten am Sonntag, 27.05., den Filmanlass „All Saints“ im Kino Beluga. Wie der am Tag zuvor erschienene Bericht im Bieler Tagblatt (26.05.18) aufzeigte, ging es dabei um die grosse Frage, wie alteingesessene Kirchen Beziehungen aufbauen zu Geflüchteten. Nehmen sie es als Potential wahr und lassen sie sich durch Migration verändern? Oder ziehen sie sich zurück und müssen, wie im Film wörtlich gemeint, die Kirche in einen Supermarkt verwandeln lassen?

Migration hat die Schweizer Gesellschaft schon lange verändert, sie ist postmigrantisch geworden und hat einen Migrationsvordergrund. Tatsächlich wird in der Öffentlichkeit Migration vorwiegend mit dem Islam in Verbindung gebracht; spätestens seit dem 09/11 werden Migrant*innen mit Muslim*innen gleichgesetzt. In Realität aber gehören die Mehrheit der Migrant*innen dem Christentum an. Viele von ihnen gehen nicht in alteingesessene Kirchen, sondern bilden eigene, sogenannte Migrationskirchen. Während früher unter „Ökumene“ hauptsächlich der Dialog zwischen den Katholischen und Reformierten im Zentrum stand, muss sich heute die Ökumene neu aufstellen: als eine „weltweite“ Ökumene, welche die „Welt“, die durch die Migrationskirchen in die Schweiz gekommen ist, miteinbezieht.

„All Saints“ (2017, USA) ist ein auf einer wahren Geschichte beruhender Film. Selbst im amerikanischen Bible Belt leeren sich die Kirchen. Doch was passiert, wenn Geflüchtete im Dorf ankommen? Der Pastor Michael Spurlock, gespielt von John Corbet, hat den Auftrag, das Kirchengebäude zu verkaufen, doch stattdessen beginnt er, zusammen mit den Geflüchteten und den alteingesessenen Kirchenmitgliedern, das Farmland um die Kirche herum zu bebauen. Mit den Erlösen soll die Hypothek für das Kirchgebäude beglichen werden und die Familien aus Burma sollen Löhne erhalten. Durch das gemeinsame Arbeiten auf den Feldern und das gemeinsame Leiden, als ein Sturm ein Grossteil der Ernte zerstört, entsteht eine neue Gemeinschaft. Die Farm wird zur Metapher für die gemeinsame  Zukunft.

Was wäre die „Farm“ in der Zusammenarbeit zwischen alteingesessenen und neuzugezogenen Kirchen in Biel? Im anschliessenden Gespräch mit den Präsidien der reformierten Kirchgemeinde Biel und einer Pastorin und einem Pastor einer Bieler Migrationskirche werden zwei Themen deutlich. Erstens sind die Landeskirchen und älteren evangelischen Kirchen wie die Methodisten stark aufgestellt bezüglich räumlicher Infrastruktur, währenddem Migrationskirchen häufig Schwierigkeiten haben, Räume zu finden oder zu bezahlen. Nicht zuletzt deswegen vermietet die reformierte Kirchgemeinde Biel Räume an sechs Migrationskirchen. Die methodistische Kirche Biel hat sogar zwei Migrationskirchen in die eigenen Strukturen integriert (mehr Details hier). Zweitens stellt sich die Frage des Religionsunterrichts. Die Landeskirchen verfügen über gut ausgebildetes Personal und eine lange Erfahrung mit KUW-Unterricht, während dem Migrationskirchen wenig Ressourcen haben in diesem Bereich. Wären hier transkulturelle, transkonfessionelle Projekte vorstellbar?

Der Abend klingt aus bei einem kongolesischen Apéro in der methodistischen Kirche. Trotz der späten Abendstunde sitzen noch über 50 Personen aus den verschiedensten Bieler Kirchen zusammen und bilden – wenn auch nur für ein paar Momente – eben so etwas neues. Bei der Verabschiedung fragt eine Teilnehmerin im Plenum: „Und, wie geht es denn jetzt weiter“? Der Arbeitskreis für Zeitfragen, mit der Plattform Zusammen Kirche Sein, nimmt diese Frage sehr ernst und wird sich auch in Zukunft weiter inner- und ausserhalb der reformierten Kirchgemeinde dafür einsetzen, dass die postmigrantische Ökumene nicht nur ein Lippenbekenntis bleibt.