Am 25. Dezember fand in der Stadtkirche erstmals eine bilingue und queere Weihnachtsfeier in Biel statt. Bei Nieselregen und hohen Epidemiefallzahlen stellten wir uns darauf ein, notfalls auch unter uns zu bleiben. Das Vorbereitungsteam aus Änn Dällenbach, Ari Lee, Elisha Schneider, Noël Tshibangu, Caroline Witschi, Luc N. Ramoni und Luzia Sutter Rehmann war sehr gespannt.

Doch es fanden sich über vierzig Personen ein. Jérémie Jolo (Klarinette) und  Elisha Schneider (Cello) verwandelten die Stimmung in Weihnachtsstimmung. Ein bilinguer Gottesdienst hat einen eigenen Zauber. Am besten übersetzt man nicht alles, sondern wechselt einfach ab und geniesst die unterschiedlichen Stimmen, Farben und Klänge.

Was ist eine queere Weihnachtsfeier? All inclusive – Die Vorbereitungsgruppe hiess alle Diversitäten willkommen. Es gibt viel mehr zwischen Himmel und Erde, als man im Allgemeinen behauptet. Es gibt nicht nur weiblich und männlich, nicht nur schwarz und weiss. Wir versuchten, auch Zwischentöne, Mischungen, Uneindeutigkeit und Vielschichtigkeit mitzumeinen. So steht zum Beispiel das Genderstern*chen dafür, dass es eine Veränderung braucht in unseren Sprachen, um Menschen nicht ins Off zu schreiben.

Wir stellten einen Abschnitt aus der Schöpfungserzählung an den Anfang der Feier:

Am Anfang sprach Gott: Es werde Licht! Und trennte das Licht von der Finsternis. Doch nicht radikal und definitiv. Denn bis heute gibt es Dämmerung und Zwielicht, die für viele Tiere genau die richtige Beleuchtung darstellen, sowie Sonnenauf- und untergänge von unglaublicher Schönheit. Die Polarnacht und der nordische Mittsommerhimmel sind alles andere als finster. Sterne leuchten am Nachthimmel. Überhaupt: Im Licht braucht man Schatten – im Dunkeln freut man sich am Licht. Unsere Welt ist voller Zwischentöne, nuanciert und das macht sie plastisch, reich und vollkommen.

Ari Lee hat einen poetischen Text zweisprachig geschrieben und vorgelesen. Ari nennt sich Two Spirit Writer, ein Schreiber, Dichter, mit Wurzeln zu den Navajos. Two-Spirit ist ein Ausdruck, der  vom Ojibwa-Wort ins Englische übersetzt wurde, und bezeichnet das dritte Geschlecht. Ein solches gab und gibt es heute noch in den Geschlechtermodellen fast aller Volksgruppen der indigenen Bevölkerung Nordamerikas. Ein Two-Spirit versteht beide Seiten, fühlt doppelt, kennt innen und aussen, oben und unten – es geht längst nicht nur um die beiden Geschlechter, sondern um Verständnis und Weisheit. Sie entsteht, wenn die Dämmerung zugelassen und Zwischentöne gehört werden.

Darum ist ein queerer Gottesdienst nicht einfach ein „Homo-Gottesdienst“ – sondern ein Ort, in dem ausprobiert und gesucht wird, in dem nichts von vornherein entschieden ist.

Keshmesh – Christmas:

“Monument Valley, Arizona.
Es liegt noch Schnee.
So eine ganz dünne Puderzuckerschicht, zumindest auf den höchsten Anhöhen der Buttes.
Oder bilde ich mir das nur ein?
Zumindest war ich beim Autofahren über den Bergpass von Bryce Canyon aus ziemlich ins Schlittern gekommen. War von Kalifornien aus aufgebrochen und hatte nur Sommerreifen drauf, was auch sonst?
Und oben auf dem Pass tobte ein Schneesturm.
Eigentlich war es dann in Monument Valley im Vergleich dazu schon gar nichts mehr.
Keshmesh. Auf Navajo sagt man zu Weihnachten, Christmas, Keshmesh.
Ya’ate’eh, Joe, Keshmesh!
Grandma liess die jungen und schwachen Schafe im Winter in ihrem Hogan schlafen. Ein Hogan, das ist ein rundes, traditionelles Navajo-Haus aus Holz und Erde.
Zusammen mit der Familie, nahe an der Feuerstelle. Schliesslich sind wir alle irgendwie verwandt und suchen alle Wärme.
Beim Feuer war es wohlig warm. Man schlief leicht ein und es kamen oft interessante Träume.
Es heisst, das Christentum ist die Religion des weissen Mannes. Aber was wäre, wenn dieses kleine, besondere Menschenkind nun hier in einem Hogan geboren wäre?
Da wären dann auch gleich die Schafe gewesen. Sie hätten sich um ihn geschart, um sicher zu gehen, dass er es warm hat, und weich, und ihn leicht angestubst mit ihren Nasen, geschaut mit den grossen Augen.
Durch das Feuerloch oben im Dach konnte man den Himmel sehen, in dem die Sterne funkelten. Mehr und immer mehr. Sie funkelten und tanzten, während der Himmel aussah wie ein Meer aus Türkisen. Wie aus den Türkisen, die man nur in ganz besonderen Minen findet; Türkisen, die heilig sind, weil sie uns daran erinnern, wo wir herkommen: an die vorherige Welt.
Grandpa würde ihm eine zweireihige Türkisenkette schenken, und Korallen mit dazu, und Grandma hätte ihr Mutton Stew gekocht.
Von dem Geruch wäre bald so mancher, der zufällig in der Nähe war, herbeigelaufen. Es wäre eine neue Geschichte entstanden, die wir später mit buntem Sand und Bildern nacherzählen und singen würden, und die Heilung bringt.
Jedes Mal, wenn die Tür aufging, hörte man das Zirpen der Grillen wie ein zartes und dennoch freudiges Konzert, und Glühwürmchen spielten dazu ihr Glanz und Gloria.
Ganz Monument Valley schien erleuchtet – zart und stark, übernatürlich und schön, tröstlich und wunderbar, freudig und einladend.
Und eines ist sicher: wenn das Kind gross sein wird, wird es sicher unsere traditionelle Haartracht tragen.
Wir würden es Friedenssprecher nennen; von ihm haben unsere Geschichten schon lange erzählt, er solle am Ende des Winters kommen, wenn  das Frühjahr sich ankündigt.
Die Türkise werden weiterhin funkeln, im Himmel und auch hier unten.”
Ari Lee

Ein Höhepunkt in der Weihnachtsfeier war für mich, als die Leute mit Stiften ihren Namen – den offenbaren oder verborgenen – auf einen Stern schrieben. Ich sah, wie einige sofort schrieben – andere zögerten, dachten nach. Einige schrieben nur kurz, andere viel länger. Beim Schauen vergass ich beinahe, meinen Namen zu schreiben. Aber ich heisse ja wie das Licht – will ich Licht am Himmel sein oder auf der Erde? Bin ich als Licht gerufen und wie lebe ich mein Licht? Ich habe meinen Namen aufgeschrieben – das ist nicht speziell originell. Aber er klang für mich anders in dieser Nacht.

Und danach befestigten wir unsere Sterne am grossen Weihnachtsbaum der Kirche. Am Ausgang erhielten alle einen süssen Stern, der halb in dunkle Schokolade getaucht war. Der Bäcker hatte nichts von unserem Gottesdienst gewusst, sondern die Schokolade empfohlen, damit der Stern nicht zu süss sei. Aber er hat offenbar ein Gefühl für das Vollkommene. Joyeux noël, frohe Weihnacht, merry Keshmesh, Biel!